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La belle et la bête – Mögliche und unmögliche Skulpturen-Projekte

H.-L. Alexander v. Berswordt-Wallrabe

Ein Beispiel: „Dialogue with J. C. Schlaun“ von Richard Serra, Münster-Nienberge, Rüschhaus

 

Im Spätsommer 1994 ein Anruf. Am Telefon ein Professor namens Ralf Scherer aus Münster. Er erklärt, daß sein Lions-Club in Münster dem unerträglichen Zustand Abhilfe schaffen wolle, daß es trotz zweier überzeugender Teilnahmen des von m Bochum in Europa vertretenen amerikanischen Bildhauers Richard Serra mit eindrucksvollen Skulpturen an den vorhergehenden beiden Skulpturen-Ausstellungen in Münster (1977 und 1987) nicht gelungen sei, wenigstens eines dieser Werke, speziell dasjenige, welches Serra seinerzeit für den Schlaun’schen Erbdrostenhof in Münster konzipiert habe, für einen dauerhaften Verbleib in Münster zu sichern. Da sein Lions-Club den Namen „Johann Conrad Schlaun“ führe und im kommenden Jahr (1995) sich der Geburtstag des bedeutenden Barockarchitekten zum 300. Male jähre, habe man sich ausgedacht, Serra zu bitten, noch einmal zu versuchen, in einem Dialog mit einer der vielen Bauwerke Schlauns in Münster eine Skulptur zu entwickeln, welche dann dauerhaft dort verbleiben könne. „Ganz schlüssig!“ und „mal eben so“ war mein spontaner gedanklicher Reflex und entsprechend ironisch, wenn auch freundlich, habe ich wohl auch reagiert.

 

Da Zeit bei mir und mindestens genauso bei Richard Serra mit zu den knappest bemessenen Gütern zählt, versuchte ich, den Professor mit einer straffen und detaillierten Schilderung des Procedere bei der Realisation einer Serra-Außen-Skulptur abzuschrecken. Ich machte ihm klar, daß Serra einen erheblichen Teil der ihm angetragenen Projekte ablehne, da ihm häufig die damit verbundenen ideologischen, politischen und insbesondere auch ortsbezogenen Kontexte nicht geeignet schienen, daß er im Falle eines Interesses für seine Entwurfsarbeit ein wenn auch angemessenes, so doch nicht unbedeutendes Entwurfshonorar in fünfstelliger DM-Höhe verlange und daß er diese Entwurfstätigkeit auch mit einem ausführlichen und eindeutigen Vertrag abzusichern pflege, daß er als Person zwar überaus eindrucksvoll, aber ebenso kompromißlos und wesentlich nur an der Realisation seines Werkes interessiert sei usw. Es nützte nichts, der Professor wollte mit zwei Freunden aus seinem Club nach Bochum kommen, um die Angelegenheit weiter zu besprechen und sich detaillierter über den Gang eines solchen Projektes mit Richard Serra zu informieren. Da er hartnäckiger war als ich, ließ ich mich innerlich seufzend auf eine Terminabsprache zu einem Treffen in der Galerie in Bochum ein.

Ein weiteres, von vornherein unmögliches Skulpturenproiekt

 

Etwas später kam Prof. Dr. Ralf Scherer, ein attraktiver, wenn auch siberhaariger, so doch jungenhaft wirkender, sportlich schlanker und sehr sympathischer Mann. In seiner Begleitung ein weiterer Professor: ein Architekt, Wolfgang Etz, kleiner als Scherer, mit der etwas längeren Haartracht eines Kreativen, eloquent, quirlig, freundliche Augen hinter stärkeren Brillengläsern und jedenfalls auch sehr sympathisch. Außerdem zur seriösen fachlichen Absicherung Burkhard Leismann, seinerzeit noch auf einigen Hochzeiten tanzender Kunstmanager mit durchaus erstaunlichen Aktivitäten und Verdiensten mit Schwerpunkt Gegenwartskunst in der westfälischen Provinz (deren Höhepunkt bekanntermaßen Bochum ist, insofern also folgerichtiger Ort unseres Treffens) und jedenfalls – über einer gehörigen professionellen Härte -auch sehr sympathisch. Ein intensives Informationsgespräch über Richard Serra generell und ein denkbares Projekt speziell fand statt, die Besucher fuhren ausgestattet mit einigen Katalogen wieder ab.

Das Gefühl: es gibt mehr nette Menschen auf der Welt, als man glauben möchte und immer noch:

ein unmögliches Skulpturenprojekt!

 

Die Herren ließen nicht locker, es gab mehrere Telefongespräche, und ich wurde gedrängt, Richard Serra doch zu einer Ortsbesichtigung nach Münster zu bewegen. Richards Reaktion am Telefon:

„Alex, you have to know!“.

Die Herren waren gleichbleibend sympathisch und in ihren Bemühungen so hartnäckig, daß ich trotz größter Skepsis für den 5. Februar 1995 ein Treffen mit ihnen und Richard Serra in Münster koordinierte, anläßlich dessen sich Serra einige denkbare Standorte im Kontext zu Schlaun-Architekturen in Münster und Umgebung anschauen sollte. Warum auch nicht, Serra war immer an Architektur interessiert und von Schlauns Erbdrostenhof anläßlich der 2. Skulpturenausstellung 1987 enorm beeindruckt gewesen.

Dennoch: ein unmögliches Skulpturenprojekt!

 

Für das Treffen wurde vom Architektur-Professor eine präzise Treffpunkt-Beschreibung mit Anfahrtskizze für Montag, den 6. Februar 1995, um 10.00 Uhr vor dem Hauptportal der Clemenskirche geschickt, wegen der unüblichen Präzision schon einigermaßen überraschend. Es wurde noch überraschender: Beim Treffen überreichte Wolfgang Etz eine sorgfältig zusammengestellte, ringgebundene etwa 40-seitige Mappe, in welcher sechs denkbare Standorte im Umfeld von Schlaun-Architekturen erfaßt waren und mit guten und sehr präzisen Farbfotos veranschaulicht wurden.

Diese mit verblüffend sicherem Blick für einen Bildhauer möglicherweise interessierende Positionen.

Etwa doch eine mögliche Skulptur?

 

Erster Standort: St. Aegidii-Kirche (ehemalige Kapuziner-Kirche), und Serra war nicht interessiert.

Eine unmögliche Skulptur.

 

Zweiter Standort: das Pfarrhaus von St. Mauritz. Serra war nicht interessiert. Eine unmögliche Skulptur.

Dritter Standort: bei der ehemaligen Kirche der Lotharinger Chorfrauen in der Hörsterstraße. Serra war nicht interessiert.

Eine unmögliche Skulptur.

 

Als viertes der Ausgangspunkt unseres Treffens selbst, die Clemenskirche. Serra sah kaum eine Möglichkeit.

Eine unmögliche Skulptur.

 

Vorletzte Chance: das Gartenhaus in der Josephstraße. Serra winkte ab. Eine unmögliche Skulptur.

Als sechster und letzter Standort, gut außerhalb des eigentlichen Zentrums von Münster im wohl erst kürzlich eingemeindeten Nienberge das Rüschhaus, während deren Lebzeiten teilweise Wohnsitz der ebenso fein- wie eigensinnigen adligen Dichterdame Annette von Droste-Hülshoff, deren hübsches Porträt die meisten Bundesbürger auf der Rückseite des neuen 20-DM-Scheines in ihrer Tasche tragen. Serra wurde nervös, nahm Witterung auf, lief um das Gebäude herum, am Gebäude entlang, die vom Gebäude wegführende axiale Zuwegung bis zu deren Ende, einem Nichtplatz neben der kleinen Asphaltstraße, hinauf und herunter, einmal, zweimal, dreimal, viermal und auch fünfmal. Er fing an zu messen, das Eingangsportal vor dem Rüschhaus, die doppelflügelige Tür zum Remisengebäude, die Breite der axialen Zuwegung, die Größe des Nichtplatzes und noch vieles mehr. Das spezielle 25-Meter/76-Fuß-Maßband wurde bemüht, bücken, aufheben, messen, Idee anhören, verwerfen, kurzum: der Künstler hatte angebissen.

Eine mögliche Skulptur?

 

Anschließend ein liebenswürdiges, von den Scherers improvisiertes Suppe-Essen in deren Privathaus, um die Kälte aus den Knochen zu vertreiben. Auf der Weiterfahrt von Münster nach Bochum skeptisches Abwägen der realistischen statistischen Chancen an dem Projekt mit dem vernichtenden Resultat einer Wahrscheinlichkeit von 25 bis 30 Prozent.

Eine unmögliche Skulptur!

 

Es folgten Monate mit Kontakten, Rücksprachen und einem weiteren Besuch mit Richard Serra vor Ort (inkognito) zur nochmaligen Besichtigung und Prüfung des Standortes. Serra blieb interessiert.

Eine mögliche Skulptur?

 

Der Entwurf des üblichen Vorvertrages wurde den Professoren geschickt, modifiziert, ergänzt, hin- und hergeschickt, es wurde über einen evtl. Vertragspartner nachgedacht und erst einmal keiner gefunden, da der örtliche Lions-Club es wohl kaum sein konnte.

Eine unmögliche Skulptur!

 

Mehr als von Bochum oder New York City aus ahnbar oder jedenfalls sichtbar beackerten die Lions-Mitglieder das Terrain in Münster, und endlich wurde auch der Direktor des örtlichen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, ein weiterer Professor, Klaus Bußmann, eingeschaltet. Er hatte sich durch engagierte Projekte von Beginn meiner Zusammenarbeit mit Richard Serra seit Mitte der siebziger Jahre als begeisterter Fan des Künstlers ausgewiesen und wollte seine aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Situation der öffentlichen Institutionen allerdings eher minimalen Möglichkeiten für ein Projekt von Serra einsetzen und dieses dann auch als Teilnahme des Künstlers an der von ihm in Zusammenarbeit mit einem weiteren Professor, Kasper König  aus Frankfurt, geplanten dritten Skulpturenausstellung in Münster im Jahre 1997 integrieren.

Eine unmögliche Skulptur? Oder eine mögliche Skulptur?

 

Bei einer weiteren, inzwischen dritten Ortsbesichtigung platzte der Knoten beim Künstler, die Idee für eine Skulptur war da.

Eine mögliche Skulptur?

 

Die Informierten auf Münsteraner Seite waren spontan von Serras Vorschlag, einem massiven, geschmiedeten Block in den Abmessungen von 2 m Höhe bei jeweils 1,50 m Breite und Tiefe, welcher sich leicht auf das Rüschhaus zuneigte und natürlich am entfernten Ende der axialen Zuwegung, dem Nichtplatz, positioniert wurde, angetan, ja begeistert.

Eine mögliche Skulptur?

 

Professor Bußmann durchschlug den gordischen Knoten des Vorvertrages, indem er diesen seitens der Trägerinstitution seines Museums, des Landschaftsverbandes, als Vertragspartner abschließen und unterschreiben ließ. In der Reihe „Kunstwerk des Monats“ in seinem Museum gibt er im März ein mehrseitiges Faltblatt zum Projekt von Serra heraus und dokumentiert damit auf besondere Weise das Engagement und die Identifikation des Museums.

Eine mögliche Skulptur?

 

Währenddessen blieben die „Löwen“ nicht untätig, sie rührten die Werbe- und Informationstrommel und sammelten sogar die ersten Fördermittel für das Projekt. Anläßlich eines weiteren Treffens mit Richard Serra im Hause Scherer (die davon einmal mehr unvorbereitet und überraschend getroffene Frau des Professors „zauberte“ ein weiteres Essen auf den Tisch) wurde die Strategie für ein Finanzierungskonzept besprochen. Serra sagte seine Teilnahme an einem Vortragsabend am 7. Dezember 1996 zu, anläßlich dessen Fördergelder von Münsteraner Firmen und Privatpersonen erbettelt werden sollten. Er stellte in Aussicht, ein Poster zu konzipieren und zur Verfügung zu stellen, dessen Verkaufserlöse helfen sollten, das Projekt zu finanzieren. Bei der Weiterfahrt im Auto die üblichen statistischen Schätzungen zur Realisierbarkeit für das Projekt. Sie waren auf geschätzte vierzig Prozent gestiegen, für eine Realisation jedoch bei weitem zu mager.

Ein unmögliches Skulpturenprojekt!

 

Der Informationsabend mit Serra, gut bestückt mit einem Vortrag des Künstlers und einem engagierten Kurzvortrag des Museumsdirektors, Professor Bußmann, sowie einer Filmvorführung über den Künstler, einem kalten Buffet und dem Angebot der von Serra bereitwillig signierten und von Klaus Richter in Düsseldorf hervorragend gedruckten Poster war ein voller Erfolg in Bezug auf die Teilnahme interessierter Münsteraner Bürger. Es kamen mehr als 200 Menschen. Der finanzielle Erlös war eher desillusionierend: Eine Skulptur wie die von Serra für das Rüschhaus konzipierte hatte einen üblichen Marktpreis in Höhe einer hohen sechsstelligen Summe, eingespielt wurden an diesem Abend gut 20.000 DM und die Zusage eines Mitglieds des Lions-Clubs, gegebenenfalls den Transport des geschmiedeten, etwa 40 t schweren Blockes von der Fertigungsstätte im Stahlwerk zum Rüschhaus zu finanzieren. Michael Andreae-Jäckering, welcher diese Kosten übernehmen wollte, war eine weitere positive Überraschung: Er wirkte kompetent, war hilfsbereit, großzügig und, wen wunderte dies zu diesem Zeitpunkt schon noch, ebenfalls überaus sympathisch. Professor Klaus Bußmann kam mit der überraschenden Mitteilung, er habe die Zusage einer erheblichen Förderung seitens des Landes NRW, welche etwa die Höhe der Hälfte der benötigten Mittel ausmachte.

Eine mögliche Skulptur?

 

Ich bat Professor Bußmann, dringend zu prüfen, ob sich die zugesagten Mittel auch in das kommende Jahr vortragen lassen würden, da eine Realisation im laufenden Jahr absolut unmöglich war, zumal immer noch etwa die Hälfte der benötigten Mittel fehlte. Seine ersten Recherchen ergaben eine solche Möglichkeit, später wurde sie dann verneint. Der in Aussicht gestellte hohe Zuschuß schien verloren.

Eine unmögliche Skulptur!

 

Die weiterhin unermüdlich tätigen „Löwen“ waren fündig geworden: neben einigen kleineren Spenden hatten sie die Zusage einer örtlichen Bank erhalten, deren Jubiläumsaktivitäten zu ihrem hundertjährigen Bestehen in einer gerade sechsstelligen Spende für die Realisation der Skulptur zu bündeln. Eine mögliche Skulptur?

Ein Treffen bei dem Vorstandsvorsitzenden der Bank ergab dessen Bereitschaft, zu versuchen, über die zugesagte Spende hinaus die noch verbleibende Deckungslücke für das Projekt in knapp sechsstelliger Größenordnung auch noch zu finanzieren.

Eine mögliche Skulptur!

 

Die Bemühungen des Vorstandsvorsitzenden der Bank blieben dann leider erfolglos, er blieb bei der ursprünglich zugesagten Spende, die verbleibende Deckungslücke schien nicht zu schließen zu sein.

Eine unmögliche Skulptur?

 

Ein kurzfristig einberaumtes Krisentreffen im Büro von Professor Bußmann wurde von Ralf Scherer – aus seinem medizinischen Umfeld entlehnt – als „letztes diagnostisches Gespräch zu einem auf der Intensivstation scheinbar chancenlos liegenden Patienten, über dessen mögliche Nichtweiterbehandlung man sich einigen müßte“ betitelt. In diesem Gespräch wurde der Vorstandsvorsitzende der Bank durch deren Marketingbeauftragten vertreten, welcher noch einmal erklärte, daß es seinem Unternehmen unmöglich sei, über die ursprünglich zugesagte, gerade sechsstellige Spendensumme hinauszugehen, darüber hinaus wurde die ursprünglich angedeutete Absicht des Versuchs einer Aufstockung dieser Spende durch den Vorstandsvorsitzenden von dessen Vertreter bestritten.

Der in diesem ersten Gespräch seinerzeit gar nicht anwesende, später zum „Projektleiter/Directing-Manager“ avancierte Assistent von Professor Bußmann bekräftigte heftig nickend diese von ihm ja nun wirklich gar nicht zu beurteilende Aussage und gefährdete damit das Projekt nachhaltig.

Eine Kunstverhinderungs-Allüre, die, wenn auch diametral dem Engagement seines Direktors entgegengesetzt, möglicherweise eine fabelhafte Qualifikation für zukünftige Museumsdirektoren sein könnte.

Eine unmögliche Skulptur!

 

In einer Kamikaze-Aktion entschied ich, auf die eigentlich bestimmt verdiente Provision der Galerie im wesentlich verzichten zu wollen, damit das Projekt doch noch realisiert werden könnte, und reduzierte den Preis des Projektes damit in eine realisierbare Größenordnung.

Eine mögliche Skulptur?

 

Einmal mehr stellte Professor Bußmann sein Engagement am Werk von Richard Serra unter Beweis, indem er die Überbrückung der noch verbleibenden kleinen Deckungslücke von seiner Seite aus erklärte und sich auch dafür stark machte, den ursprünglich verfallenen Zuschuß des Landes wieder neu eingesetzt zu bekommen.

Eine mögliche Skulptur!

 

Der Vorstandsvorsitzende der Bank zeigte sich über meine Geste indigniert und empfand es als unseriös, daß ich plötzlich die Kosten des Projektes doch noch vergleichsweise stark reduzieren konnte und wollte. Er hatte diese Geste mißverstanden und stellte dementsprechend die ursprünglich zugesagte Spende in Frage.

Eine unmögliche Skulptur!

 

In einem Briefwechsel erklärte ich gegenüber dem Bank-Vorstandsvorsitzenden meine Aufgabe und mein Verständnis meiner Arbeit, die nicht darin bestünde, Projekte von mir vertretener Künstler in ihrer Realisation durch eigene wirtschaftliche Ansprüche zu verhindern. Dieser klärende Briefwechsel führte zur neuerlichen Zusage der Spende der Bank.

Eine mögliche Skulptur!

 

13. Juni 1996. Ankündigungs-Pressekonferenz für die 3. Skulpturen-Ausstellung in Münster. In der offiziellen Ankündigungsliste mit den Namen der beteiligten Künstlerinnen und Künstler taucht der Name Richard Serra nicht auf. Auf Anfrage von Journalisten, ob denn Richard Serra an dieser Skulpturen-Ausstellung nicht beteiligt sei, wird seitens der Veranstalter ausweichend geantwortet, man wisse nicht..

Eine unmögliche Skulptur!

 

Über die ganzen Verhandlungen war viel Zeit vergangen, wir waren im Sommer 1996. Professor Bußmann, welcher als offizieller Vertragspartner den endgültigen Vertrag für das Projekt hätte unterschreiben müssen, fuhr für mehrere Wochen in Ferien, ich selbst mußte auf eine längere berufsbedingte Auslandsreise nach Frankreich. Der Auftrag zur Schmiedung des Blockes an das Stahlwerk war, sollte der geplante Aufstellungstermin am 17. Dezember 1996 gewährleistet bleiben, innerhalb einer Woche zu erteilen. Außerdem fehlten noch die Gelder für die Vorbereitung des Aufstellungsortes (Fundamentenaushub, Statik für das Fundament, Erstellen des Fundamentes mit Beton und Betonstahl, spätere Schließung des Fundamentenloches und Wiederherstellung des Platzes).

Eine unmögliche Skulptur?

 

Klaus Bußmann hatte das Unmögliche möglich gemacht, indem er den vorliegenden Vertrag vor seiner Abreise „auf Verdacht“ unterschrieben in seinem Museum hinterlegt hatte, von wo aus dieser mir per Faxkopie auf eine Station meiner Reise in Frankreich über die Galerie zugeschickt wurde. Meinerseits erteilte ich von dort aus den Auftrag zur Herstellung des Blockes an das Stahlwerk. Die fehlenden Kosten für den Aufbau und die Fundamentierung für die Skulptur wurden ebenso spontan wie überwältigend unkompliziert von Michael Andreae-Jäckering zugesagt.

Eine mögliche Skulptur!

 

In meinem nur zur Bestätigung des Fertigungstermines und damit eigentlich zu meiner Beruhigung geführten Telefongespräch mit dem zuständigen Verkaufsleiter des Stahlwerkes teilte dieser mir mit, daß man sich bei der Materialeinsatzschätzung für die Ermittlung des Kostenangebotes verkalkuliert habe. Statt eines Einsatzrohgewichtes von ursprünglich angenommenen knapp fünfzig Tonnen benötige man tatsächlich nach jetzt durchgeführter genauerer Projektanalyse ein Einsatzelement von knapp siebzig Tonnen Gewicht, um den letztlich benötigten Netto-Block schmieden zu können. Dementsprechend deutlich höher sei der Endpreis.

Eine unmögliche Skulptur?

 

Nach einigen strittigen Telefongesprächen zwischen dem Stahlwerk und mir wurde doch noch ein akzeptabler Kompromiß gefunden.

Eine mögliche Skulptur!

 

Am Ende der ersten Schmiedung des Blockes, zu der eine stattliche Abordnung der „Löwen“ aus Münster plus Fotografin ins Stahlwerk angereist war, gab der gigantische Elektromotor des Hauptkrans in der Fertigungshalle unter heftigstem Funkenregen seinen Geist auf, die weitere Schmiedung fristgerecht zum Aufbautermin schien ausgeschlossen.

Eine unmögliche Skulptur?

 

Die Schmiede in der früheren Henrichshütte machten das Unmögliche möglich und vollendeten den Block unter Einsatz des wegen des hohen Gewichts des Werkstückes eigentlich gar nicht geeigneten Manipulators innerhalb der notwendigen Frist.

Eine mögliche Skulptur!

 

Allfällige und in unserer Verwaltungsbürokratie heute normale Probleme für das notwendige Genehmigungsverfahren für die Aufstellung der Skulptur am Rüschhaus klärte und beseitigte Wolfgang Etz in unermüdlichem Einsatz vor Ort. Einem Zeitungsartikel entnahm ich, daß er für die CDU in der zuständigen Bezirksvertretung vor Ort saß. Ausgerechnet diejenige politische Partei, die sich in Bochum immer wieder für die Verhinderung der Serra-Skulptur „Terminal“ vor dem Hautbahnhof in Bochum stark gemacht hat und diese selbst nach ihrem Ankauf durch die Stadt Bochum und nach ihrer Installation noch wieder hatte demontieren lassen wollen, um möglicherweise ihre Wähler durch eine solche Maßnahme zu beeindrucken.

Eine unmögliche Skulptur!

 

Durch die Bemühungen von Wolfgang Etz und durch die präzise professionelle Vorbereitung des Standortes durch Michael Andreae-Jäckering und seine Leute wurde es geschafft: Die Skulptur konnte und sollte in Gegenwart von Richard Serra am Dienstag, dem 17. Dezember 1996, ab 9.00 Uhr vor Ort aufgebaut werden.

Nur: Richard Serra war schwer rückengeschädigt nach Europa gekommen und war von uns im Auto liegend zu anderen Projekten durch Europa gefahren worden. In der Nacht vor der Installation seines Werkes am Rüschhaus versagte der Rücken endgültig so, daß Serra dem Aufbau nicht beiwohnen konnte.

Eine unmögliche Skulptur!

 

Dennoch klappte auch in Abwesenheit des Künstlers der seitens der „Löwen“ generalstabsmäßig vorbereitete Aufbau reibungslos.

In weniger als einer Stunde war der geschmiedete 40-t-Block durch den deutlich überdimensionierten Teleskop-Kran auf sein Fundament gesetzt, zwischen 50 und 100 beeindruckte Zuschauer erlebten die Metamorphose eines gewöhnlichen Werkstückes aus Stahl zu einer beeindruckenden Skulptur. In ziemendem Abstand und angemessenem Ernst verneigt sich das Werk des kompromißlosen Bildhauers aus den USA gegenüber der Residenz der adligen westfälischen Dichterin. Dabei setzt sich diese Skulptur durch ihre sichtbar frontale Aufstellung gegenüber dem doppelflügeligen Tor der Remise mit ihren von einer Hälfte dieses Tores abgeleiteten Abmessungen in einen unübersehbaren dialogischen Bezug zu dem verspielt-beeindruckenden Gebäude des Barock-Architekten Johann Conrad Schlaun, seinerseits Namensgeber des örtlichen Lions-Clubs.

Eine realisierte und daher unbestreitbar mögliche Skulptur!

 

Am anschließenden kleinen Empfang im Hause der Andreae-Jäcke-rings nimmt dann die stark dezimierte Abordnung, bestehend aus Clara Weyergraf-Serra als Ehefrau des Künstlers und mir teil, während Richard Serra und zu allem Überfluß auch noch meine Frau Silke krank in Bochum bleiben mußten. Ebenso beeindruckend wie die herzliche Gastfreundschaft der Andreae-Jäckerings und die riesige Begeisterung der zahlreich teilnehmenden

„Löwen“ ist die faszinierende Architektur des gerade bezogenen neuen Hauses der Andreae-Jäckerings, welches Gabriele Andreae-Jäckering selbst als Architektin geplant hat.

 

Bochum, April 1997

 

PS:

Nachdem die Skulptur endgültig zur Teilnahme in der 3. Skulpturen-Ausstellung Münster 1997 aufgenommen ist, bittet Professor Bußmann den Künstler um dessen Hilfe bei der Finanzierung noch verbliebener Deckungslücken im Etat dieses Ausstellungsprojektes. Ebenso gern wie spontan sagt Richard Serra die honorarfreie Zurverfügungstellung einer Graphik zu. Der „Kurator/Curator“ des Projektes, Professor Kasper König, präsentiert Richard Serra einen großen Bogen Papier mit der Maßgabe, auf diesem eine Graphik im Siebdruckverfahren zu konzipieren und als Bestandteil einer geplanten Graphik-Mappe mit Beteiligung etwa zehn weiterer Künstlerinnen und Künstler verfügbar zu machen. Dem anfangs noch freundlich-milden Hinweis Serras, daß er seine druckgraphischen Werke ebenso sorgfältig und skrupulös zu konzipieren pflege wie seine Zeichnungen und Skulpturen und daß er deswegen über Technik, Größe und Beteiligungsverhältnis eines solchen graphischen Werkes selbst entscheide, entgegnet der „Kurator/Curator“, die Skulptur am Rüschhaus sei vollkommen falsch plaziert, sie gehöre nicht in die vom Künstler überlegte, gewählte und schließlich entschiedene Distanz zum Gebäude, sondern direkt an dieses Gebäude heran. In etlichen, kurz aufeinander folgenden Anrufen aus New York-City bestätige ich dem völlig aufgebrachten Richard Serra beruhigend, doch, doch, er sei schon wirklich der Künstler. Eine trotzdem mögliche Skulptur!

 

Hier kann sich eine Präsentation mit Bildmaterial angesehen werden: Zur Präsentation